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Geschichten

Anton Corbijn - Miles Davis, 1985

Miles hatte ein Interview mit Richard Cook. Ich durfte dabei sein, aber keine Fotos machen. Miles war nicht besonders freundlich zu Richard. Jedes Mal, wenn er eine Frage stellte, sagte Miles: „Und wie war noch mal der Name?“ Am nächsten Tag hatte ich ein Fotoshooting mit ihm in einem Hotelzimmer, fünf oder sechs Minuten. Er schenkte mir eine sehr schöne Zeichnung von ihm. Ich habe sie noch immer. Miles war ein beeindruckender Mann, sein Blick total intensiv. Ich glaube, so lebte er auch. Dieses Foto entstand spät in seinem Leben, als er sehr starke Schmerzen hatte. Er nahm Injektionen mit einem Ziegenserum, darum sind seine Pupillen riesig. Das macht das Foto so besonders: Seine Pupillen waren wirklich unglaublich groß.
Anton Corbijn, Fotograf, Grafikdesigner und Filmregisseur

Dem eindringlichen Blick des Trompeters Miles Davis kann man sich kaum entziehen. Die Finger mit den hellen Nägeln stehen in starkem Kontrast zur dunklen Haut und zeigen in Richtung der Augen. Die schwarzen, geweiteten Pupillen kontrastieren mit dem Weiß des Auges. Das Foto ist haarscharf und die Pupillen reflektieren, was sich in ihrem Blickfeld befindet: ein großes Fenster, durch das helles Licht einfällt, davor die Silhouette des Fotografen Anton Corbijn. Dieses sehr persönliche Porträt der inzwischen verstorbenen Jazzlegende entstand 1985 in Montreal.
Datenbank
des Groninger Museums

1985 ging Miles Davis auf die 60 zu. Er hatte eigentlich alles erreicht: Er war als Trompeter einer der einflussreichsten Jazzmusiker überhaupt. Ab den 1940er-Jahren bis zu seinem Tod schaffte er es immer wieder, ein neues, junges Publikum anzusprechen. Die Energie sprüht förmlich aus dem Foto, aber zugleich spürt man eine gewisse Unsicherheit, ja Angst. Der große Mister Davis hat dazu doch keinen Anlass, oder? Und die weit aufgesperrten Augen, was sagen die uns? Hat der Fotograf ihn darum gebeten oder sind sie für den Bruchteil einer Sekunde so riesig, aber gleich darauf brach er in Gelächter aus? Wie dem auch sei: Diesem Blick kann man sich nicht entziehen, es ist der Blick einer starken Persönlichkeit. Letztendlich bewirkt das Foto nur eines: Ich will mehr über diesen Mann erfahren, will die Musik hören, die in seinem Kopf spielt.
Leo Blokhuis, Musikjournalist

Jeff Koons - Christ and the Lamb, 1988

Christ and the Lamb ist ein goldener Spiegel in den schwungvollen Formen des Rokoko, ein Stil aus dem 18. Jahrhundert. Warum dieser Titel, wo ist Christus, wo das Lamm? Nicht so leicht zu erkennen ist Koons‘ Vorlage, ein Gemälde von Leonardo da Vinci, das im Louvre in Paris hängt: Anna selbdritt. Das Gemälde zeigt die Jungfrau Maria, ihre Mutter Anna, das Jesuskind und ein Lamm vor einer Felsenlandschaft. Koons zitiert die Kunstgeschichte und spielt mit den Erwartungen des Publikums.
Datenbank
des Groninger Museums

Koons ist bekannt für seine großformatigen, farbenfrohen und oft kontroversen Kunstwerke, die Themen wie Konsumismus, Popkultur und die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur erforschen. Christus und das Lamm ist Teil seines breiteren Werks, das sich mit religiöser Ikonografie und Symbolik in der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt. Die Skulptur wurde in verschiedenen Galerien und Museen auf der ganzen Welt ausgestellt und hat Diskussionen und Interpretationen über die Schnittstelle von Religion, Kunst und Popkultur ausgelöst. Wie bei vielen Werken von Koons lädt Christus und das Lamm die Betrachter ein, über die Bedeutung und Signifikanz religiöser Bildsprache im Kontext der zeitgenössischen Gesellschaft nachzudenken.
Text und Übersetzt von ChatGPT


Koons‘ Werk wirft Fragen auf, auch philosophische: Die meisten Spiegel sind Gebrauchsgegenstände, keine Kunst. Und dieser Spiegel?
Die Form greift das mit einem Lamm spielenden Jesuskind in Leonardo da Vincis Heiliger Anna selbdritt (1501/19) auf. Dadurch weckt der Spiegel den Anschein inhaltlicher Aufladung. Der Philosoph Arthur Danto sagte einmal: „Die Kunst ist eine verkörperte Bedeutung – eine Bedeutung, die tief im Körper verankert ist.“ Aber gilt das nicht genauso für Verkehrsschilder? Und von welchem Inhalt reden wir? Ist es ein kritisches Werk über den Prunk der katholischen Kirche oder eine Ode an den Kitsch? Ist es gar eine Vanitas? Immerhin spielt Jesus mit einem Sinnbild seines späteren Todes, und wir selbst spiegeln und in dem reich verzierten Objekt. Hat Christ and the Lamb eine signifikante Bedeutung und wenn ja, wodurch wird sie definiert? Koons sagte einmal, seine Werke hätten keine tiefere Bedeutung. Das kann man nur schwer glauben. Zumindest dieses Werk steht verschiedenen Interpretationen offen. Das erklärt zwar nicht, warum es ein Kunstwerk ist, sagt aber etwas über seine Qualität.
Daan Evers
, Philosophiedozent, Rijksuniversiteit Groningen

Peter Paul Rubens - Die Anbetung der Könige, ca. 1610

Fällt Ihnen etwas Besonderes an diesem Bild auf? Die heiligen drei Könige, auch die Weisen aus dem Morgenland genannt, beschenken das gerade geborene Jesuskind. Es fällt auf, dass Rubens dem schwarzen König Balthasar eine zentrale Position im Bild zuweist. Die bedeutende Hafen- und Handelsstadt Antwerpen gab dieses Gemälde bei dem berühmten Maler in Auftrag. Dies mag auch Rubens‘ Wahl erklären: Ein schwarzer Mann als Symbol der weltweiten Handelsbeziehungen der Stadt und ihres Wohlstands. Bei seinem Porträt Balthasars griff Rubens höchstwahrscheinlich auf ein älteres Bildnis eines unbekannten schwarzen Dieners zurück.
Groninger Museum Kulturprojekt Bittersüßes Erbe


Diese Ölskizze wurde als Vorbereitung für eine Anbetung der Könige angefertigt, die Rubens vor dem 9. April 1609 für die Stadt Antwerpen fertigstellte (das Gemälde, das Rubens 20 Jahre später selbst abänderte, befindet sich heute im Prado, Madrid). Rubens hatte vermutlich von den frühen Antwerpener Meistern gelernt, vorbereitende Ölbilder anzufertigen. Während seines langjährigen Italienaufenthalts von 1600 bis 1608 machte er häufig von diesem Mittel Gebrauch, wohl um seinen Auftraggebern, wie andere Künstler jener Zeit auch, seine malerischen Absichten zu verdeutlichen. Das nach dieser Ölskizze angefertigte Gemälde folgt ihr mit Ausnahme einiger Details genau.
Alejandro Vergara
, Chefkurator für flämische und nordeuropäische Kunst, Museo del Prado, Madrid

Das Groninger Museum geht davon aus, dass der schwarze Mann, der für den König Modell gestanden hat, versklavt war. Ich bin mir da nicht so sicher. Anders als bisher angenommen, waren nicht alle Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Europa versklavt. Bereits vor der niederländischen Kolonialsklaverei lebten farbige Menschen aus allen Gesellschaftsschichten in ganz Europa verstreut. Auf Gemälden, die die Minderwertigkeit von Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Europa zeigen sollen, sind sie fast unsichtbar gemalt. Oft werden sie als dunkle Silhouette dargestellt, die nur deshalb im Bild sind, um zu zeigen, dass ihr Leben ganz im Dienste der deutlich porträtierten weißen Besitzer steht. Auf diesem Gemälde ist das nicht der Fall, vielmehr sind hier zwei junge Männer zu erkennen, die der Gesellschaft der Könige ganz offenbar dienen. Sie sind, anders als man erwarten mag, nicht schwarz, sondern weiß. In diesem Gemälde definiert sich der soziale Status der dargestellten Personen nicht durch die Hautfarbe, sondern durch Kleidung, Körperhaltung und ihre Position im Bild.
Linda Nooitmeer
, Vorsitzende des Nationaal Institut Slavernijverleden en Erfenis (NiNsee)

Wenn ich mir das Bild anschaue, sehe ich als erstes, wie gewalttätig es ist. Das Baby (Jesus) ist nicht mal der Mittelpunkt. Viele fremde, fast schemenartige Menschen sind herbeigeeilt. Rauch, Waffen, in der rechten oberen Bildecke ein Adler, halbnackte Gestalten im Vordergrund – als ob die ganze Welt, alle Zeiten, alle guten und bösen Menschen zusammengekommen sind, um dieses Kind zu sehen. Um es zu bewundern? Manchmal frage ich mich, ob es das ist, was wir im Moment gerade wollen, einen Messias zum Anbeten.
Guy Weizman
, Künstlerischer Leiter NITE und Club Guy & Roni

Alessandro Mendini - Poltrona di Proust, 1990

Der damalige Museumsdirektor Frans Haks und der Designer Alessandro Mendini erachteten die scharfe Trennung der einzelnen Disziplinen – bildende Kunst, Architektur und Design – als überwunden. Dieser Sessel ist ein modernes Louis-Quinze-Möbel, bemalt mit einem Detail aus einem Gemälde des französischen Pointillisten Paul Signac (1863-1935). Nachdem er entdeckt hatte, dass Proust Gemälde verschiedener Impressionisten in seinem Besitz hatte, wollte Mendini ein Sitzmöbel schaffen, in dem der französische Schriftsteller und Kritiker Marcel Proust (1871-1922) gesessen haben könnte.
Die Kombination des Sessels mit dem Bild ist ein Beleg für Mendinis Weigerung zwischen Gebrauchsgegenständen für die Masse und Kunst für eine kleine Elite zu unterscheiden: Ist der Sessel ein Kunstobjekt, das man betrachten, oder ist er ein Gebrauchsgegenstand, auf dem man sitzen kann? Dank der Zusammenarbeit zwischen Frans Haks und Alessandro Mendini wurde Mendini Chefarchitekt des Groninger Museums.
Datenbank des Groninger Museums


Ich finde besonders, dass dieser Sessel aus Keramik ist, also sehr zerbrechlich. Wenn es geschneit hat, mache ich immer einen Sitz aus Schnee, warum also nicht aus Ton? Was mir am meisten auffällt, ist, dass die Farben für so einen alten Sessel ziemlich außergewöhnlich sind. Er ist ein bisschen vornehm und alt wegen der Schnörkel und Verzierungen. Er erinnert an die Perückenzeit: fröhlich und gleichzeitig ernst. Mendini will damit bestimmt sagen, dass vornehm auch fröhlich sein kann. Ich glaube, er hat einen Sessel für vornehme Leute gemacht, die keine Kinder haben und 60 sind. Vielleicht würde ich ihn doch haben wollen. Ich nenne dieses Kunstwerk „Rainbow“, weil es so bunt ist.
Mette van Zoest (11 Jahre)
, Juniorclub

Bremsen ist meist sicherer und Gasgeben macht mehr Spaß. Unter dem Motto „less is more“ (weniger ist mehr) wurden Anfang des 20. Jahrhunderts die meisten dekorativen Formen „ausgebremst“. Für Alessandro Mendini war es aber „less is a bore“ (weniger ist langweilig) und so sah er in diesem Sessel, dem Archetyp barocker Opulenz, einen passenden Ausgangspunkt, in Dekorationen zu schwelgen. Dadurch wurde er ein lebendiges, farbenfrohes und auch viel frischeres Kunstwerk. Die Pendelbewegung von Aktion und Reaktion schlug in den 1990er-Jahren in die puristische No-Nonsense-Bewegung aus. Danach wurde es still und eine uninspirierte Atmosphäre herrschte: „Alles schon mal dagewesen“.
Irgendwann musste ich mein Abschlussprojekt für die Design-Akademie machen. „Gas geben“, dachte ich. Ich zündete einen ähnlichen Barocksessel an und habe die verkohlte Version neu gepolstert, damit der Sessel wieder brauchbar war. Der „Smoke Chair“ wurde wie ein Neuanfang empfangen, so wie Bauern ihre Felder abbrennen, um sie fruchtbar zu machen. More or less …
Maarten Baas,
Künstler und Designer

„An den Rändern des Wahnsinns“

Man könnte sagen,
was kommen muss, wird kommen.
Man könnte sagen, was meilenweit entfernt wirkt,
kann plötzlich hier sein.

Was einst eine Grenze schien, kann
wie aus dem Nichts ein Zaun sein,
über den wir schauen, ein Farbton,
an den wir uns ewig erinnern, hellblaue
Träume und deine Lieblingsfarbe, an der

du dich festhältst an tristen, grauen Tagen.

Man könnte sagen, wer einmal im Dunkeln
strauchelte, wird eines Tages wieder im Licht tanzen.
Wer sich ausklinkt, wird einmal federleicht fliegen.
Ein Leben vorwärts ist nur für die,
die wagen, sich selbst und die Banalität der Dinge
von Zeit zu Zeit auszuklinken.

Wenn du dann was sagen willst, dann dies:

„Wer den Wahnsinn
im Normalen sieht, findet
Weisheit an den Rändern
des Wahnsinns.“

Myron Hamming
, Dichter und Spoken-Word-Künstler